Tierheilpraktiker? Warum man nicht davon leben kann

 

 

 

Diesen Text schreibe ich besonders für andere TierheilpraktikerInnen und Ausübende weiterer Berufe im Bereich der alternativen Therapien für Pferde, wie Physiotherapeut, Osteopathin oder Tierpsychologe.

 Er ist aber auch für TierbesitzerInnen und ich würde mir sehr wünschen, dass ihn auch Tierärzte und Tierärztinnen lesen (im folgenden werde ich nicht mehr gendern, da zu umständlich)


Ich selbst arbeite im Pferdebereich, aber ich denke, vieles trifft auch auf die Arbeit mit Heimtieren zu.

Der Bedarf ist eigentlich da: In jedem Reitstall gibt es Pferde mit chronischen Erkrankungen.

Z.B. Pferde, die dauerhaft wegen Husten, Allergien oder Kotwasser gemanagt werden müssen.

Pferde, die seit zwei Jahren lahm gehen und ausdiagnostiziert sind, gelegentlich Schmerzmittel bekommen, wenn es mal besonders schlimm ist.

Stoffwechselkranke Pferde, die auf Dauerdiät sind und nicht wirklich am Leben (Weide!) teilnehmen dürfen, aus Angst vor einem weiteren Reheschub.

Pferde mit Bewegungseinschränkungen wie Zügellahmheit oder Trageerschöpfung, die für den Tierarzt nicht lahm genug sind, aber auch keine Freude am Gerittenwerden haben.

Pferde mit chronischer Bronchitis, Magen- oder- Darmentzündung, Sarkoiden, etc. die nicht behandelt werden, weil die Besitzer aufgegeben haben, da es ja „eh alles nicht hilft“.

Ein richtig großes Betätigungsfeld für Tierheilpraktiker und verwandte Berufe. Aber: ich kenne kaum jemanden, der ausgebucht ist oder davon leben kann. Die meisten machen es nur nebenbei oder sind frustriert, weil zu wenig Anfragen kommen. Es herrscht viel Konkurrenzdenken und Neid in der Branche, dadurch ist auch ein Vernetzen schier unmöglich. Ganz wenige leben wirklich von der 1:1 Arbeit am Patienten. Die meisten, die wirklich erfolgreich sind, bieten Online-Kurse oder ähnliches an oder sie fangen früher oder später an, von Aus-und Fortbildungen für andere Profis zu leben. Entweder organisatorisch oder selbst dozierend. Ich habe ja keine Statistik darüber, aber meinem sehr starken Eindruck nach wird im Bereich der alternativen Tiertherapien viel viel mehr Geld umgesetzt durch die Aus-und Fortbildung neuer “Profis“ als durch die eigentliche Behandlung von Tieren. Hier macht man sich den Traum, den viele träumen, zunutze: den sinnlosen Bürojob aufzugeben und endlich eine erfüllende Arbeit zu machen. Man hat nun sein halbes Leben hart gearbeitet und etwas gespart und dies wird nun in den neuen Traumberuf investiert. Der Anteil der Absolventen all dieser Akademien und Zentren, die in den letzten Jahren aus dem Boden geschossen sind, die später das Gelernte wirklich beruflich und nicht nur für die eigenen Tiere anwenden, ist marginal. Das sagt einem vorher aber niemand bzw. man glaubt trotzdem ganz fest an sich, da man ja so motiviert ist und einer der wenigen ist, der wirklich aus Liebe zum Tier handelt.

Und jeder denkt: „Wenn ich mich noch mehr anstrengen würde, könnte ich davon leben. Aber ich muss es ja nicht.“ Man hat seinen anderen Job noch oder wird vom Ehepartner unterstützt.

Die Ausbildung zum Tierheilpraktiker, Tierphysiotherapeuten, Pferdeosteopathen und Tierpsychologen ist in Deutschland weder staatlich geregelt noch anerkannt.

Der Human-Heilpraktiker ist anerkannt und es gibt eine staatliche Prüfung. Humanphysiotherapeut ist ebenfalls anerkannt, Osteopathie wird teilweise von der Krankenkasse erstattet.

Im Bereich der Tiermedizin gibt es nur den Tierarzt, punkt.

Tierärzte haben überhaupt keine Probleme mit zu wenig Kundenanfragen, im Gegenteil: wer gesunden Idealismus mitbringt, sich nur ein bisschen Mühe gibt, das zu tun, was er gelernt hat und sich einigermaßen auf dem neuesten Stand hält, läuft Gefahr, sich zu überarbeiten oder kann den vielen Hilfesuchenden nicht gerecht werden.

Tierärzte sind unersetzlich im Bereich der Akutmedizin. Sie werden gebraucht bei Notfällen, Koliken, Verletzungen, die genäht werden müssen, Infektionskrankheiten, Kreislaufschocks, für Röntgendiagnostik. Sie dürfen zu recht vieles, das niemand anders darf, wie Injektionen verabreichen, operieren, verschreibungspflichtige Medikamente anwenden, all das wäre ohne Hintergrundwissen und Können zu gefährlich.

Die Schulmedizin, sowohl im Human- als auch im Veterinärbereich stößt aber an ihre Grenzen, wenn Erkrankungen chronisch werden.

Hier braucht es oft etwas, das Tierärzte nicht leisten können und das vom Gesundheitssystem bzw. der Tierkrankenversicherungen oder der Gebührenordnung für Tierärzte auch gar nicht vorgesehen ist.

Etwas, das pro Patient viel mehr Zeit in Anspruch nimmt als die Akutmedizin. Geduldiges Lösen von Verspannungen. Erstellen individueller Kräuterrezepturen. Ursachensuche. Anhören der Sorgen des Tierbesitzers und ausführliche, oft wiederholte Beratung. Tierbesitzer müssen überzeugt werden, einige Gewohnheiten und die Haltungsbedingungen des Tierpatienten zu ändern. Ein wichtiger Teil der Arbeit ist alleine das Zuhören und Ernstnehmen, das den Tierbesitzern oft eine große Erleichterung bringt. Das braucht viel Einfühlungsvermögen und viel Zeit.

Tier und Besitzer haben diese Zeit, immerhin ist das Tier ohnehin schon seit Wochen, Monaten oder Jahren krank. Aber eine Tierärztin? Die jeden Moment zu einer Kolik oder einem Beinbruch gerufen werden könnte? Die umgerechnet manchmal 800 € pro Stunde kostet ( Ich habe mal für einen ca 15minütigen Tierarztbesuch eine Rechnung über rund 200€ erhalten), die viel bürokratischen Aufwand und teure Medizintechnik finanzieren muss?

Das passt doch absolut nicht zusammen, oder? Human- und Tiermediziner können viel, sind aber vom Studium her beispielsweise gar nicht besonders gut in Ernährung ausgebildet. Ernährungsberatung kann man aber gut auch ohne Medizinstudium lernen. Oder die Anatomie des Bewegungsapparats. Heilpflanzenkunde. Viel Zeit könnte man den Tierärzten freihalten für Akutfälle, Diagnostik und invasive Eingriffe, wenn man den Bereich der chronischen Erkrankungen an gut ausgebildete, engagierte Nicht-Akademiker abgeben würde.

Meine Tierheilpraktikerausbildung habe ich 2006 ich an der Akademie für Tiernaturheilkunde in Bad Bramstedt abgeschlossen. Die Schule wird geleitet von einem Tierarzt und viele der Dozenten waren damals Tierärzte, mehrere von ihnen dozierten auch an tiermedizinischen Hochschulen.

Ich habe eine gute Grundausbildung in Biologie, Anatomie, Physiologie und Pathologie, die sich stark am Tiermedizinstudium anlehnte, vermutlich aber in irgendeiner Form abgespeckt ist. Die Ausbildung zum Tierheilpraktiker nur für Pferde dauerte damals mindestens zwei Jahre, geht also deutlich schneller als ein Tiermedizinstudium (wo man sich allerdings auch nicht auf eine Tierart spezialisieren kann). Die ganzen Therapieverfahren habe ich eigentlich nur an-gelernt. Man konnte damit gut starten, aber die eigentliche Expertise kommt erst mit den Jahren der Praxis. Das Heilen mit Naturheilverfahren ist nun mal eine Kunst. Man kann es einfach nach Anleitung aus dem Buch machen, bleibt dann aber weit hinter den Möglichkeiten zurück. Dafür wird man mit der Zeit und der Erfahrung immer besser. Ich habe in meiner Ausbildung eine sehr kritische Selbsteinschätzung mit auf den Weg bekommen und einen inneren Leitfaden, was ich mir schon zutrauen kann und wann ich besser einen Tierarzt hinzuziehe. Im Zweifel lieber einmal mehr als einmal weniger.

Ich bin Mitglied in einem Berufsverband, der mich regelmäßig über gesetzliche Neuerungen, die unseren Beruf indirekt betreffen informiert, Tagungen veranstaltet und Fortbildungen anbietet. Die ersten zehn Jahre habe ich mich auch an die jährliche Fortbildungspflicht gehalten. Irgendwann ist man aber so eingespielt, dass man nicht mehr jedes Jahr eine neue Therapiemethode lernen muss. Auffrischungskurse z.B. in Diagnostik schaden aber natürlich nie. Ich nehme auch so oft genug meine Fachbücher zur Hand und lese Artikel und Studien, oft zu aktuellen Fällen. Das Heilen interessiert mich einfach zu sehr, als dass ich vergessen könnte, Neues dazuzulernen.

Jedenfalls ist der Bedarf an alternativer oder komplementärer (ergänzender) Tiertherapie da und es gibt auch trotz fehlender staatlicher Anerkennung gute Ausbildungsmöglichkeiten. Selbstverständlich gibt es auch unseriöse Anbieter, die Zertifikate quasi nur verkaufen oder Menschen, die sich selbst zum Tierheilpraktiker oder xy-Therapeuten ernennen, was legal ist, da die Begriffe nicht geschützt sind. Und hier ist die erste Hürde, die es uns gewissenhaften Tierheilpraktikern schwer macht. Wir werden mit Scharlatanen in einen Topf geworden, uns wird zunächst mal misstraut. Ein Tierarzt mit seinem akademischen Titel hat einen Vertrauensvorschuss, wir müssen uns das Vertrauen erstmal erarbeiten. Das gilt übrigens nicht nur für Berufe mit Universitätsstudium. Der staatlich anerkannte Hufschmied muss auch nicht so um Kundschaft kämpfen, wie eine Hufpflegerin, die vielleicht autodidaktisch oder durch Mentoring gelernt hat, aber möglicherweise viel gewissenhafter und genauer arbeitet und mehr Wissen in Pferdeanatomie, dafür keins in Metallverarbeitung hat.

Ein Papier, wo drauf steht, was man kann, gibt einem erst mal einen Vertrauensbonus für potentielle Kunden. Wer sowas nicht hat, muss erst mal beweisen, dass er trotzdem was kann.

Das ist grundsätzlich ja auch fair. Aber wer macht sich schon Gedanken, was das mit der Psyche der Betroffenen anstellt und welche Ausmaße das annehmen kann? Insbesondere wenn man sich nicht bewusst ist, dass es in der Natur der Gegebenheiten liegt und nicht an einem selbst und wenn man sich nicht genügend mit Kolleginnen austauscht. Warum man das nicht tut, dazu später mehr.

Es hat lange gedauert, bis mir bewusst wurde, dass ich eine seltsame Sicht auf die Dinge hatte: irgendwie unterbewusst sah ich mich als kleiner Abklatsch der Tierärzte. So Tierarzt Kuchen, ich Krümel. Oder in Schnittmengen ausgedrückt: Ein großer Kreis, das Wissen des Tierarztes, darin enthalten ein kleiner Kreis, mein Wissen. Dass ich ein breites Wissen hatte, über das die Tierärzte nicht verfügen, verdrängte ich oder hielt es für wertloser als das, was an der Uni gelehrt wird. Und man wird ja auch so behandelt. Belächelt. Im Zweifelsfall ist die Meinung des Tierarztes immer mehr wert als meine. Manchmal raten Tierärzte den Besitzern von naturheilkundlichen Therapien ab, gerade weil sie keine Ahnung davon haben. Und so wurde ich immer weiter darin bestätigt, dass ich klein und unbedeutend bin. Sicher hängt das mit meiner familiären Vorgeschichte zusammen und sicher haben nicht aller Tierheilpraktiker solch eine Persönlichkeitsstruktur. Aber ich bin mir auch ganz sicher, dass sehr sehr viele ähnlich ticken, weil nun mal besonders sensible und empathische Menschen eine Affinität zu Berufen haben, in denen sie Tieren helfen können. Gerade auch Menschen mit geringem Selbstwert möchten etwas sinnvolles, hilfreiches tun. Und auch der Wunsch nach Selbständigkeit statt Angestelltenjob kommt nicht von ungefähr. Man will einfach nicht mehr untergebuttert werden, sondern selbst entscheiden, was man tut.

Man startet also nach der Ausbildung direkt in die Selbständigkeit. Angestelltenjobs für Tierheilpraktiker gibt es so gut wie nicht. Solange man noch unbedarft ist, hat man einige gute Erfolge, aber so richtig will sich der Terminkalender nicht füllen. Es gibt nicht genug Mund-zu-Mundpropaganda und die Selbstzweifel werden mit jeder unangenehmen Erfahrung größer. Erfolgserlebnisse werden unterbewertet, kritische Feedbacks von Tierbesitzern oder unbeteiligten Lästerern am Reitstall überbewertet. Und das schlimmste: jeder denkt, andere Tierheilpraktikerinnen kriegen es doch auch hin. Nur ich nicht. Ich bin einfach nicht gut genug. Ich muss noch eine Fortbildung machen. Und noch eine. Und noch eine. Und immer größer wird die Diskrepanz zwischen der Geldsumme, die man für die Ausbildung ausgegeben hat, und die, die man damit verdient hat.

Andere kriegen es doch auch hin? Nein, kriegen sie nicht. Es spricht aber keiner darüber. Und es traut sich auch keiner zu fragen. Auf Fortbildungen und Tagungen zum Beispiel. „Bist Du eigentlich ausgelastet? Kannst Du davon leben?“ Natürlich versucht jeder, den Anschein zu erwecken, dass er reichlich Patienten hat. Was auch relativ leicht ist. Man erzählt einfach von zwei drei Fällen, in denen man gut helfen konnte und schnell entsteht ein sehr professioneller Eindruck. Kaum jemand klagt über die schlechte Auftragslage. Weil man sich schämt. Dadurch gibt es natürlich auch viel Neid und Eifersucht in der Branche, und man unterstellt anderen unlauteren Wettbewerb, weil man sich wundert, warum es bei einem selbst nicht so klappt.

Tierärzte können sich Fehler erlauben und behalten ihr Ansehen, werden wieder gerufen, man ist ja auf sie angewiesen. Und sie leisten sich Fehler und sind meiner Erfahrung nach in der letzten Zeit, nachdem die GOT 2022 so explodiert ist, häufig total unmotiviert und desinteressiert. Natürlich nicht alle, aber es fällt schon auf. Vielleicht liegt das daran, dass man fürs bloße auf den Hof fahren 41,00€ + 4,16€ pro km Anfahrt erhält und bei den Untersuchungen willkürlich den zwei- oder dreifachen Satz berechnen kann, weil einem der Tierbesitzer unsympathisch ist. Ich kreide das ausdrücklich nicht den Tierärzten an, sie sind halt auch nur Menschen und haben definitiv genug um die Ohren, sondern den verantwortlichen „Sachverständigen“ und Politikern, die diese unsägliche GOT erstellt und verabschiedet haben.

Leider führen diese hohen Kosten nicht dazu, dass vermehrt Tierheilpraktiker in Anspruch genommen werden. Eher ist es so, dass Tierbesitzer lieber an letzteren sparen, weil nach der Tierarztrechnung nichts mehr übrig ist. Oder sie haben mittlerweile eine Tierkrankenversicherung, was die Hinzuziehung von nicht anerkannten Therapeuten natürlich noch unattraktiver macht.

 

Fazit:

Eine gedankliche Aufteilung in Akutmedizin und Chronische Medizin macht Sinn und letztere könnte noch viel mehr von Nicht-Tierärzten übernommen werden.

Tierheilpraktiker, Tierphysios und -osteos etc. müssen sich bewusst werden, dass auch sie nicht perfekt sein müssen, wie es auch Tierärzte nicht sind. Fehler gehören dazu und eine Erfolgsquote von 50% ist schon gut, zumal man mit Lebewesen arbeitet. Trotz allem hilft man mehr Tieren als wenn man gar nichts macht. Chronisch kranke Tiere werden tierärztlich oft nur mit Schmerzmitteln über Wasser gehalten, eine ursächliche, nachhaltige Behandlung erfolgt nicht.

Alternative Tiertherapeuten untereinander sowie sie und Tierärzte sollen zusammenhalten und zusammenarbeiten im Sinne der Tiere und nicht versuchen, sich im Sinne eines Konkurrenzkampfs durchzusetzen, indem andere schlechtgeredet oder ignoriert werden.

 

Tierbesitzer, gebt uns eine Chance, wir haben so viel in peto!

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