Rehabilitierendes Training

Newtonsches Kugelstoßpendel
Newtonsches Kugelstoßpendel

Ziel des therapeutischen Bewegungstrainings ist, dass der Patient Bewegungshemmungen aufgibt und sich somit wieder natürlicher bewegt, mehr so, wie er es als Fohlen mal getan hat. Das heißt nicht, dass er unbedingt wieder wild herumspringen muss (je nach Alter), sondern dass der Körper wieder durchlässiger wird.

Bei den ursprünglichen Bewegungsabläufen fließen die Bewegungsimpulse durch das gesamte Skelett eines Tieres.  Jeder Knochen gibt, indirekt, über die Muskeln und Sehnen als Vermittler, einen Impuls den er erhält, etwa durch den Aufprall eines Fußes auf dem Boden, an den nächsten Knochen weiter usw. An den Enden des Skeletts kehrt der Impuls wieder zurück. Wir sehen am Schädel das Kopfnicken, am Schweif das Pendeln und an den in der Luft befindlichen Beinen, die Richtungsumkehr. So werden harte Stöße abgefangen und Reibung verhindert, so dass es zu keinem Verschleiß von Körpergewebe kommt. Bei einer gesunden Muskelspannung berühren sich nicht mal die Gelenkknorpel, ein schmaler Spalt dazwischen bleibt immer erhalten. 

Im Laufe des Alterns und ganz besonders bei langfristigen Schmerzzuständen geben immer mehr Gelenke ihre Beteiligung an dieser Impulsweitergabe auf. Z.B bewegen sich einige hintereinanderliegende Wirbel  nur noch gemeinsam, zwischen ihnen findet keine Bewegung zueinander mehr statt. Im weiteren Verlauf können sie sogar knöchern zusammenwachsen. Am Anfang steht eine Dauerverkrampfung der entsprechenden Muskeln, was ein Reflex auf Schmerz sein kann oder daran liegen kann, dass dieser Muskel im Alltag nicht mehr benutzt wird. Pferde können sich sehr energiesparend fortbewegen und dabei einen erheblichen Teil ihrer Gelenke nicht mitbewegen. Dadurch gibt es aber immer weniger Ausweichmöglichkeit für die Impulse die durch den Hufkontakt mit dem Boden entstehen. Man stelle sich ein Newtonsches Kugelstoßpendel vor. Alle Kugeln erfahren den Impuls, nur bei der frei schwingenden Kugel am Ende wird er wieder sichtbar. Kann ein Impuls nicht in Bewegungsenergie resultieren, weil er auf feststehendes Material auftrifft, wird das Material erhitzt oder beschädigt. So will es nun mal das Energieerhaltungsgesetz. Lässt die Wirbelsäule beispielsweise die Impulse vom Vorwärtsschub des Hinterbeine nicht durch, kehren sie teilweise wieder zurück, Richtung des am Boden befindlichen Hufs. In den Boden können sie nicht. Was wir dann sehen, ist ein Drehen oder nach außen Wegbiegen des Hinterbeins. Dieser Gang wird oft mit Spat in Verbindung gebracht. Man darf sich fragen, was hier Ursache und was Wirkung ist. Steifheiten in einem Körperteil bedingen also Hypermobilitäten in einem anderen. Und diese wiederum oft starken Verschleiß an Knorpel oder Sehnen und eine erhebliche Verletzungsgefahr. 

Häufige Gangbildstörungen bei Pferden sind eine ausgeprägte Schiefe mit mehr oder weniger oder gar nicht sichtbaren Taktfehlern, eine starke Vorderlastigkeit und ein zu geringes Beugen von Knien und Sprunggelenken der Hinterbeine. In allen Fällen schöpfen mehrere Gelenke nicht ihr volles Bewegungspotential aus und Teile des Bewegungsapparats werden überlastet.

Die Tiermedizin kommt üblicherweise erst dann zum Einsatz, wenn es zur Verletzung oder Entzündung, sprich zu einer Lahmheit oder Rittigkeitsproblemen kommt. Das beschädigte oder entzündete Körpergewebe, also z.B. ein Gelenk, ein Band, eine Sehne wird ausfindig gemacht und gezielt dort wird die Heilung gefördert, medikamentös, mit physikalischen Methoden oder einfach durch Ruhe. Im Idealfall findet das Pferd nach der Heilung aufgrund Schmerzfreiheit von alleine in sein natürliches Bewegungsmuster zurück. Das selbe gilt fürs Abstellen anderer Ursachen, wie etwa das Entfernen eines unpassenden Sattels. 

Leider wird es mit zunehmendem Alter immer schwerer für den Patienten, Bewegungsgewohnheiten abzulegen. Tatsächlich werden Gewohnheiten noch über Schmerzen priorisiert, d.h. ein Rechtshänder, wird trotzdem sein rechtes Vorderbein weiterhin stärker belasten, auch wenn es etwas schmerzhaft ist. Er wird dadurch nicht zum Linkshänder. Hinzu kommt, dass es ja oft ein Teufelskreis ist: der Schmerz ist überhaupt erst wegen der Bewegungseinschränkung entstanden und auf die Idee, dass mehr Beweglichkeit anderswo im Körper den Schmerz lindert, kommen weder der menschliche noch der equine Patient. Im Gegenteil, jede Form von Stress führt zu einem Verstärken von Schutzspannungen. 

Rehabilitierendes Training ist also nicht damit getan, einfach mit dem Pferd spazieren zu gehen oder ganze Bahn zu traben. Dadurch legt es seine Gewohnheiten nicht ab. Es kommt von der Stelle, läuft vielleicht taktrein, aber es verschleißt sich weiter und irgendwann kommt es wieder zu einer Entzündung oder Verletzung. 

Es muss weniger eine Vorwärtsbewegung des ganzen Körpers forciert werden als vielmehr mehr Bewegung und Beweglichkeit innerhalb des Körpers. Bei bereits geschädigten Strukturen muss im niedrigen Tempo gearbeitet werden um starke Impulse und Aufpralls zu vermeiden. Das achtsame Gehen mit dem Pferd, der Mensch immer parallel zum Pferd, Übergänge zwischen Halten, Schritt und Rückwärts, später auch Biegen und Seitengänge bewirken eine Neukoordination des Bewegungsapparats ohne Überlastung. Durch das Bremsbereit-Sein und Rückwärts-Denken des Pferdes, wird die Vorhand leichter und die Anhebung des Rumpfs wird mehr und mehr mit in die Vorwärtsbewegung genommen. Die Hinterbeine werden immer wieder leicht angebeugt und erfahren ein schonendes Krafttraining. 

Bei fitteren Patienten ist auch ein spielerisches Training an der Longe oder in der Freiarbeit möglich, bei dem durch dynamische Richtungswechsel eine Lastaufnahme hinten gefördert wird. Dabei ist absolut wichtig, dass die Hilfengebung durch die Körpersprache des Menschen, das Pferd immer ins Gleichgewicht hinein schickt oder holt und es niemals aus dem Gleichgewicht herausholt, etwa durch Ziehen oder Gegenhalten an der Longe. Hierfür muss man natürlich die Balancesituation des Pferdes erstmal erkennen können und dann richtig im Timing sein.  Zum Hereinwenden wird mit Körperpositionierung gearbeitet. Es wird Raum frei gemacht für die Vorhand, niemals die Hinterhand rausgeschickt, was nämlich die Vorderbeine stark belasten würde. 

Die Pferde merken sehr schnell, wenn das Training ihrem Körper gut tut. In Pausen trete ich gerne ein paar Schritte zurück und die Pferde bleiben freiwillig in der Nähe. Die Arbeit ist durchaus herausfordend, besonders geistig, und die Pferde sind danach erstmal müde. Niemandem fällt es leicht, seine gewohnten Abläufe zu unterdrücken, stattdessen genau zuzuhören, auf den Punkt zu reagieren und dann Muskelgruppen zu benutzen, die vorher ziemlich inaktiv waren. Die Verwirrung und koordinative Anstrengung steht den Pferden anfangs ins Gesicht geschrieben und man muss als Besitzer schon aushalten können, seinem Pferd das zuzumuten. Es ist eben Krankengymnastik, die Dinge wieder in Ordnung bringen soll, die schon längere Zeit falsch gelaufen sind. Nach einiger Zeit wird es aber immer stolzer, fröhlicher und selbstbewusster im Ausdruck, weil es sich in seinem Körper wieder wohler fühlt.