Hufrollensyndrom

Photo by Thomas Peham on Unsplash
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 Die Begriffe Hufrollensyndrom, Hufrollenerkrankung oder -entzündung, landläufig auch „Hufrolle“, Strahlbeinlahmheit oder lateinisch Podotrochlose bzw Podotrochlitis bezeichnen alle den entzündlich-degenerativen, frühzeitigen Verschleiß des Hufrollenkomplexes im Inneren des Pferdehufs. 

Komplex deshalb, weil es sich um eine funktionelle Einheit aus mehreren Strukturen handelt: dem distalen (=unteren) Abschnitt der tiefen Beugesehne mit ihrem Ansatz an der Rück- bzw Unterseite des Hufbeins, dem Strahlbein, das als Umlenkrolle für diesen Sehnenabschnitt fungiert und den dazwischen liegenden Schleimbeutel. Dort, wo die tiefe Beugesehne über das Strahlbein gleitet sind sowohl Knochen als auch Sehne mit Faserknorpel überzogen, geschmiert wird die Gleitfläche durch visköse Flüssigkeit, die der Schleimbeutel produziert. Diese faserknorpelige Gleitfläche steht im Zentrum der Gewebeschädigung, die bei der Hufrollenerkrankung auftritt.

Manchmal werden Erkrankungen, die in diesen Bereich fallen, vom untersuchenden Tierarzt nicht explizit als Hufrollenerkrankung bezeichnet, sondern man spricht nur vom Hufrollenschleimbeutel ( der Bursa podotrochlearis), oder dem Strahlbein, oder dem Ansatz der Tiefen Beugesehne, an denen jeweils etwas entzündet oder beschädigt ist.  Wer etwas derartiges bei seinem Pferd diagnostiziert bekommen hat, darf also auch interessiert weiterlesen.

 

 

 

Der Querschnitt kann die Form des Hufrollenapparats leider nur unzureichend darstellen.  In grün die tiefe Beugesehne mit ihrem Ansatz am Hufbein. Der kleine, im Querschnitt fast dreieckige Knochen ist das Strahlbein. Von vorne sieht es eher aus wie ein Weberschiffchen. In violett dazwischen der Hufrollenschleimbeutel.  In gelb das distale Strahlbeinband, das das Strahlbein am Hufbein fixiert. Das Strahlbein ist mit weiteren Bändern seitlich am Hufbein und auch am Fesselbein fixiert, die hier nicht sichtbar sind.  In orange sieht man das Strahlkissen oder Strahl- oder Hufpolster auf dem die Tiefe Beugesehne quasi aufsitzt.  In blau noch einen Teil des Fesseltragapparats und in rot einen Teil der Oberflächlichen Beugesehne, in braun den Gemeinsamen Zehenstrecker. Das Strahlbein hält den Insertionswinkel der Tiefen Beugesehne konstant, auch wenn die Fessel steiler steht, etwa im Moment des Abfußens.

Mein Eindruck ist, dass  viele Irrtümer über diese Erkrankung herrschen und die Diagnose oft zu Denkkurzschlüssen führt und auf fatalistische Weise hingenommen wird. Zu leicht findet man sich damit ab, dass die Sache unheilbar ist und man dem Pferd allenfalls Erleichterung mit orthopädischen Beschlägen verschaffen kann, also die Reitbarkeit oder das Leben des Pferdes eventuell noch etwas verlängern kann, eine Heilung aber ausgeschlossen ist.

Andererseits werden Schädigungen der Hufrolle oft auch gar nicht bemerkt oder untersucht. Da beide Vorderbeine betroffen sind, sieht man oft keine Taktfehler, sondern eher einen allgemein klammen Gang.

 

Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich primär um einen Knorpelverschleiß aufgrund abnorm hoher, wiederholter mechanischer Belastung handelt. Somit ist die Hufrollenerkrankung faktisch eine Arthrose, auch wenn die Hufrolle per definitionem kein Gelenk ist.

Es handelt sich NICHT um eine Durchblutungsstörung, Erkrankung der Blutgefäße oder krankhafte Bildung von Gefäßkanälen in den Knochen hinein. Diese Vermutungen hat es mal gegeben, sie sind längst widerlegt. Auf dem Röntgenbild sichtbare erweiterte Gefäßkanäle haben nichts mit dem Hufrollensyndrom zu tun. Es handelt sich um Aussackungen des Hufgelenks, die von Pferd zu Pferd variieren, also eine Laune der Natur, aber nichts krankhaftes. Das erklärt James Rooney bereits 1998 in seinem Lahmheitsklassiker „The Lame Horse“. Er hat tausende von Pferdeleichen seziert und festgestellt, das knöcherne Veränderungen immer zum Schluss auftreten. Es kommt Knorpelverschleiß ohne knöcherne Veränderungen vor, aber nicht umgekehrt. Somit ist die Röntgendiagnostik allenfalls im Spätstadium der Erkrankung hilfreich. Es können dann röntgenundichtere Stellen in der Mitte und Osteophyten (knöcherne Zacken) an den Rändern des Strahlbeins zu sehen sein. Ein negativer Röntgenbefund ist aber keinesfalls ein Garant dafür, dass die Hufrolle nicht bereits massiv geschädigt sein kann. Eine Weichteildiagnostik mittels Ultraschall ist natürlich innerhalb der Hufkapsel nicht möglich. Erst eine MRT könnte die Schädigung frühzeitig sichtbar machen. Aber auch ohne das gibt es vielsagende Hinweise.

Die Erkrankung tritt immer beidseitig auf und fast ausschließlich vorne. Eine Anästhesie des Hufrollenbereichs eines beliebigen Vorderbeins macht die Lahmheit auf dem anderen Bein sichtbar.

Das Pferd kann mal auf dem einen mal auf dem anderen Bein lahmen oder allgemein klamm gehen. Eine Schwebephase im Trab fehlt. Achtet man im Trab nur auf die Vorderbeine, handelt es sich eigentlich mehr um ein Schnellgehen. Die Protraktion (Vorschwingen) des Vorderbeins ist verkürzt. Der Huf landet entweder auffällig auf der Zehe oder mit der Trachte zuerst, trotz kurzer Tritte. Ein Wendeschmerz ist typisch. Oft stellt das Pferd im Stand ein oder beide Beine nach vorne heraus oder gräbt sich mit den Zehenspitzen in den Boden ein bzw die Trachten schweben in der Luft. Es kann eine „Kniehängigkeit“ (Vorbiegigkeit) in den Karpalgelenken vorliegen. Unübersehbar sind die degenerativen Veränderungen im hinteren Hufbereich, wenn man denn drauf achtet und noch weiß, wie es beim gesunden Pferd eigentlich aussehen sollte. Und hier sind wir beim am meist missachteten und totgeschwiegenen Aspekt des Themas Hufrolle.  Die betroffenen Pferde leiden unter einer Atrophie des Strahlkissens und der Hufknorpel. Das Strahlkissen ist das stoßdämpfende Bindegewebe, dass sich zwischen den Ballen und unter dem Strahl befindet. Schrumpft es zusammen, bleiben ein Trachtenzwang, eingerollte, entweder untergeschobene oder zu hohe Trachten, ein verkümmerter Strahl, häufig Strahlfäule und manchmal sogar Hornspalten am Übergang zwischen Seitenwand und Trachtenwand. Die Ballen sehen, von hinten betrachtet, nicht schön rund und aufgeblasen wie Ballons aus, sondern schmal, eckig und zusammengequetscht. Dazwischen befindet sich ein tiefer Schlitz, wo eigentlich eine flache Grube sein sollte, der sich fortsetzt, in das, was mal die mittlere Strahlfurche war. Auch von ihr ist nur noch ein schmaler Schlitz oder gar nichts mehr übrig, oft stirbt hier aufgrund Mangeldurchblutung das Strahlhorn ab, fault und stinkt. Diese Situation ist immer ein Alarmsignal, denn sie bedeutet, dass dem Pferd wichtige stoßdämpfende Strukturen fehlen, was nicht nur die Hufrolle, sondern die gesamte Gliedmaße für irreparablen Verschleiß prädestiniert. Mir ist unverständlich, warum diese Problematik von Seiten der Tierärzte und Hufschmiede so selten angesprochen, geschweige denn effektiv behandelt wird.

Wie es zu dieser Atrophie kommt? Strahlkissen und Hufknorpel benötigen, wie ein Muskel, Stimulation um sich kräftig auszubilden. Das bedeutet: immer mal wieder vielfältige Bewegungsmanöver auf vielfältigen Untergründen und ansonsten über den Tag verteilte geringgradige Bewegung wie etwa beim Grasen. Und das muss bereits im Wachstum geschehen, da der Huf ja mit Zunahme der Körpermasse zusehends mehr Energie absorbieren muss. Ausreichend Bewegung während der Aufzucht legt somit einen ganz entscheidenden Grundstein für ein gesundes Pferdeleben, der später nicht mehr vollständig nachgeholt werden kann. Die Strukturen können aber auch beim erwachsenen Pferd wieder (oder zusätzlich) zusammenschrumpfen wenn es längere Zeit unter Bewegungsmangel leidet, der Hufmechanismus durch Beschlag oder fehlerhafte Hufbearbeitung eingeschränkt ist, oder es aufgrund bereits vorhandener Schmerzen gezielt den hinteren Hufbereich schont. Somit ergeben die Hufrollenerkrankung selbst, aber auch schmerzhafte Strahlfäule einen verheerenden Teufelskreis. Ein zu frühes, insbesondere dauerhaftes Beschlagen des jungen Pferdes stellt meines Erachtens eine  fahrlässige Körperverletzung dar. Das Training der so wichtigen stoßdämpfenden Strukturen wird verhindert, der Huf in seiner noch zu kleinen Form festgehalten.

Jeder Pferdekäufer und auch Ausbilder sollte sich ernsthaft fragen ob ein fünfjähriges (geschweige denn dreijähriges) Pferd wirklich schon so genutzt werden sollte, dass es Hufeisen braucht.

 

 

Atrophiertes Strahlkissen. Die Hufknorpel wirken wie zusammengequetscht,  die Trachten sind eingerollt und untergeschoben, der Strahl ist verkümmert

Hier geht es zu einem sehr interessanten Video des Wissenschaftlers Robert Bowker über das Strahlkissen:

Das Hufrollensyndrom ist eine Zivilisationskrankheit. Wildpferde sind nicht betroffen. Auch Galopp- und Trabrennpferde sind so gut wie nicht betroffen. Bei ihnen gehen andere Körperteile kaputt aufgrund allgemeiner Überlastung. Die Schädigung der Hufrolle aber kann man mit Bewegungen in Verbindung bringen, die typisch sind fürs Reiten.

Zu Rooneys Zeiten waren besonders Springpferde betroffen sowie Kutsch- und Polizeipferde, die stundenlang auf hartem Boden arbeiteten. Heute sind es sicherlich auch sehr viele Dressur- und Freizeitpferde. Auch die moderne Pferdezucht spielt eine Rolle: Große Körpermasse auf kleinen Füßen (Quarter Horses), Großwüchsigkeit generell, fehlende Selektion auf Hufrollenprobleme, dafür auf extravagante Bewegungen.

Doch ich möchte genauer darauf eingehen, was denn nun im Detail diese mechanische Belastung ist, für die der Körper des Pferdes offenbar nicht gemacht ist. Wenn man das nämlich versteht, ist es möglich, die Ursache abzustellen und ein Fortschreiten der Degeneration zu verhindern oder zumindest stark zu verlangsamen. Und dies besteht NICHT in einem Spezialbeschlag und Schrittausritten am langen Zügel. Aber der Reihe nach.

Ich möchte hier drei Erklärungen zur Biomechanik des Hufrollensyndroms vorstellen. Die erste stammt vom bereits erwähnten James Rooney. (The Lame Horse, 1998, Seite 112 )

Rooney bringt die schädlichen mechanischen Einwirkungen in Verbindung mit der Art des Auffußens des Beins auf den Boden. Normalerweise landet der Pferdehuf plan oder etwas zuerst mit der Trachte. Es gibt aber Situationen, in denen das Pferd zuerst mit der Zehe aufhuft und die Trachten dann nach hinten runterklappen. Dies ist beim Springen der Fall, besonders bei hohen, steilen Sprüngen, da der Landungswinkel des Pferdes nach dem Sprung um so steiler ist. Deshalb beobachte man auch einen höhere Inzidenz bei „Showjumpern“ im Vergleich zu „Steeplechasern“.

Zehenlandung tritt aber auch bei allgemeiner Ermüdung auf, da das Vorderbein nicht mehr weit genug vorgeschwungen wird und vorzeitig landet. Die Protraktion (Vorführphase) ist verkürzt. Daher die hohe Inzidenz bei Polizei- und Kutschpferden. Das Problematische an der Zehenlandung ist, ist dass das Hufbein danach nach hinten rotiert, dadurch geht das Hufgelenk in Extensionsstellung (Streckung), während es gleichzeitig im Fesselgelenk, durch das Absinken des Fesselkopfes ebenfalls zur Streckung kommt. Das bedeutet, dass die Tiefe Beugesehne (im folgenden TBS abgekürzt) zeitgleich und sehr plötzlich über zwei Gelenke gedehnt wird. Dabei wird sie gegen ihre Umlenkrolle, das Strahlbein gepresst. Dies ist zwar auch Sinn des Strahlbeins, es geschieht aber normalerweise nicht direkt nach dem Auffußen, sondern erst kurz vor dem Abfußen, dann wenn der Fesselkopf schon wieder oben ist und der Fesselgelenksbereich sich entspannt hat. Fußt der Huf dagegen auf der Trachte zuerst, klappt die Zehe runter, das Hufbein rotiert nach vorn, das Hufgelenk geht also in Beugestellung, während der Fesselkopf durch die Lastaufnahme absinkt. Die TBS wird zwar am Fesselgelenk gedehnt, am Hufgelenk jedoch in diesem Moment entspannt.

 

Etwas anders ist die Erklärung von Jean Luc Cornille von Science of motion. Er zeigt das in seinem Youtube-Video mit einem Sektionspräparat.

Es geht um die Stützbeinphase. Das Bein hat bereits Last aufgenommen, der Fesselkopf ist abgesunken, das Bein befindet sich in der Retroversion, d.h. Es ist am Boden fixiert und bewegt sich in Relation zum Körper nach hinten. Wenn es sich weit genug hinter der Senkrechten befindet, wird irgendwann das Abfußen eingeleitet. Dabei geschehen zwei Dinge: der abgesunkene Fesselkopf geht wieder nach oben. Das Hufgelenk überstreckt sich. Die Entspannung im Fesselgelenk, minimiert also die Zugbelastung der TBS, die am Hufgelenk entsteht. Soweit beim gesunden Pferd. Beim hufrollengefährdeten Pferd bleibt der Fesselkopf länger unten. Das Röhrbein gerät hinter die Senkrechte, das Fesselgelenk bleibt also in der Überstreckung und nun wird kurz vor dem Abfußen zusätzlich das Hufbein überstreckt. Die TBS erfährt von zwei Enden Zug. Also auch hier geht es um zwei Ereignisse die normalerweise nicht gleichzeitig geschehen sollen.

 

 

 

Im Prinzip beschreiben beide Theorien die selbe Bewegungsstörung: das gesamte Bewegungsspektrum der Vorderbeine ist nach hinten (schweifwärts) verlagert. Das Bein bleibt länger am Boden und huft früher auf. Dies ist Ausdruck einer Vorderlastigkeit. Das Vorderbein hält sich mehr unter dem Körperschwerpunkt auf als davor. Damit ist auch das fehlende Hochfedern des Fesselkopfes verbunden. Der Fesseltragapparat gibt unter der zu großen Last nach, und/oder der Recoileffekt fehlt.

 

Dies sind biomechanische Modelle der Bewegungsstörungen, von der Seite betrachtet. Andere Autoren, (z.B. Dr Christian Bingold, der die Seite "Equivetinfo" betreibt) betonen mehr die Fehlbelastungen in der mediolateralen, also seitlichen Ebene, das was man sieht, wenn man das Pferd von vorne betrachtet. Auch hier zeigt sich die Ursächlichkeit des menschliches Einflusses. In der freien Wildbahn, läuft das Pferd meistens geradeaus und eher selten um die Kurve. Reitpferde aber werden im Kreis longiert und auf rechteckigen Reitplätzen bewegt, wo es alle paar Meter eine Kurve gibt. Es ist ja gerade die Kunst beim Reiten, das Pferd gesund um die Kurve gehen zu lassen, das heißt, dass es sich in der Wirbelsäule biegt, keine Schräglage bekommt und die Beine senkrecht aufsetzt. Aber wem gelingt das schon immer und auf Anhieb? Das wäre auch muskulär für kaum ein Pferd so lange zu halten wie die üblichen Reitstunden oder Longiereinheiten dauern. Also bekommt das Pferd, wie ein Wildpferd in der Kurve eine Schräglage. Die Beine setzen so auf, dass das Röhrbein, von vorne betrachtet, nicht senkrecht zum Boden steht. Somit landet eine Hufhälfte zuerst, meistens die äußere und die andere klappt runter. Das Hufgelenk muss die Differenz zwischen tatsächlichem Röhrbeinwinkel und der Senkrechten in Relation zum Boden ausgleichen. Das kann es in gewissem Maße, wird diese Funktion aber zu stark und zu häufig ausgereizt, leiden die Bänder, insbesondere die Kollateralbänder des Hufgelenks und die seitlichen Strahlbeinbänder mit denen das Strahlbein am Fesselbein und am Hufbein innen und außen aufgehängt ist. Hinzu kommt, dass die Tiefe Beugesehne nun nicht mehr in ihrer vorgesehenen Bewegungsachse belastet wird sondern schräg. Dies tolerieren sie und die Oberfläche des Gleitlagers Strahlbein auch nur in begrenztem Umfang. 

 

Zum Thema Verschleiß durch Abweichungen von der üblichen Belastungsrichtung bringt James Rooney einen anschaulichen Vergleich. Das gilt ganz allgemein für die Überlegung, wie man ein Material kaputt kriegt. Er schreibt auf Seite 26: (Übersetzung aus dem Englischen)

 

„Einen Nagel aus einem Brett gerade herauszuziehen, etwa mit einer Kneifzange, ist schwieriger als ihn mit einem Tischlerhammer oder Nagelzieher herauszuziehen. Dafür gibt es zwei Gründe , von denen einer ist, dass mit Hammer oder Nagelzieher der Winkel der Insertion des Nagels ins Brett verändert wird, während man zieht, und das macht es einfacher. (Außerdem wirkt ein größeres Drehmoment auf den Nagel.) Das Strahlbein und die proximalen Gleichbeine gewährleisten gleichbleibende Insertionswinkel für die passierenden Sehnen, so dass die Winkel sich nicht ändern und dazu führen, dass die Sehne an ihrem Ansatz aus dem Knochen herausgezerrt würden.“

 

Einleuchtend, oder? Will man etwas kaputt zerren, wird man durch gerades Ziehen nicht weit kommen sondern in verschiedene Richtungen zurren, neigen und drehen.  

 

Entsprechend zeigen betroffene Pferde Taktfehler besonders in Wendungen, während sie auf gerader Strecke scheinbar taktrein laufen können.  

Die Erklärung James Rooneys, warum die Landung auf der Trachte gesünder ist als die auf der Zehe. Bei der Zehenlandung bekommt die Tiefe Beugesehne (grün) anschließend einen Ruck an ihrem Ansatz am Hufbein.

Durch starke Erschütterung bei der Landung auf hartem Boden wiederholt sich dieser Ruck auch noch mehrfach binnen Millisekunden.

Robert Bowker hält auch die Trachtenfußung für die gesündeste Fußungsform, mit der Begründung, dass sich die stoßdämpfenden Strukturen im hinteren Teil des Hufs befinden. Auch Dr. Bingold hält die Trachtenlandung für physiologisch, mit der möglichen Begründung, dass die Trachte den Boden "vorfühle". Offensichtlich ist, dass der Zehenlandende Huf früher im Verlauf der Vorschwingphase den Boden erreicht als der Trachtenlandende.

Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage, dass selbst die Trachtenlandung noch eine zu frühe Landung ist. 

Bei einer besonders langen Protraktion also einem weiten nach-vorne-Rausschwingen des Vorderbeins, gibt es einen Moment, in dem die Trachten der Punkt des Hufs sind, der dem Boden am nächsten ist. Doch hier landet der Huf noch gar nicht, das Bein leitet bereits wieder die Retroversion ein, während es noch in der Luft ist, wird also wieder etwas zurückgezogen und nach unten gestreckt um dann mit einem ganz bodenparallelen Huf plan zu landen.  Diese plane Landung darf nicht verwechselt werden mit der Phase die sich oben zwischen dem linken und dem rechten Bild befinden würde, sondern sie kommt erst nach dem rechten Bild, d.h. idealerweise befände sich das Bein bis dahin noch in der Luft.

Es muss in einem gesunden Bewegungsablauf (hier im Bild zuerst blau und dann rot) nicht unbedingt diese Phase geben, wo die Trachte der bodennächste Punkt ist. Das Vorderbein kann auch, ohne dass es sich maximal nach vorne herausstreckt, dafür aber recht hoch fliegt und sich stark anwinkelt, am Ende der Protraktion sanft zum Boden hinuntergeführt werden und dann plan landen. Es landet dann zunächst mit seinem Eigengewicht und die Belastung mit dem Körpergewicht erfolgt Sekundenbruchteile später.  

Bei kurzer und/oder flacher Vorführphase ist eine auffallende Trachtenlandung eher ein Alarmsignal, das auf Schmerzen im vorderen Hufbereich hindeutet.  Eine auffallende Zehenlandung deutet nicht nur auf Schmerzen im hinteren Hufbereich hin, sie ruiniert auch auf Dauer den Bewegungsapparat, da die stoßdämpfenden Strukturen nicht genutzt werden.  Zudem bedeutet eine zu frühe Landung, dass der Vorderhuf nicht vor dem Körperschwerpunkt landet und somit zu früh mit dem ganzen Körpergewicht beladen wird, d.h. ehe die Sehnen sich stabilisierend vorspannen konnten. Hinzu kommt, dass das Bein, wenn es nicht aus der Protraktion sondern aus der Retroversion landet, die Vorwärtsbewegung nicht abbremsen muss und somit vermeidet, dass enorm starke Entschleunigungskräfte auf es einwirken. (Siehe dazu auch James Rooney, The Lame Horse, 1998, erster Teil, in dem es um die normale Bewegung des Vorderbeins geht.)

Welche Schlüsse können wir nun aus dem Verständis der Entstehung von Hufrollenverschleiß ziehen, um ihn von vornherein zu vermeiden, weiteren Schaden zu verhindern, oder ein lahmendes Pferd sogar schmerzfrei zu bekommen?

Um die Risikofaktoren nochmals zusammenzufassen: Muskelermüdung, Wendungen, harter Boden, Springen, Bewegungsmangel oder alles zusammen. Somit kann man die ratsamen vorbeugenden Maßnahmen eigentlich damit zusammenfassen, dass man das Pferd optimal auf die besondere Belastung durch den Reitsport vorbereitet,  bevor man es ihr aussetzt. Das bedeutet, eine optimale Aufzucht mit viel Bewegungsfreiheit und -anreiz, auch später eine Haltung, in der sich das Pferd den größten teil des Tages frei bewegen kann und auch möchte.  Ein durchdachtes Trainingskonzept, mit ausreichend Pausen, das dem Pferd die Zeit gibt, nicht nur Muskulatur, sondern auch Bindegewebe, insbesondere im Huf aufzubauen.  Dafür wäre es notwendig, dass Ausbilder, Reitlehrer und Reiter wissen, wie ein gesunder Huf geformt ist und wie ein gesunder Bewegungsablauf aussieht. Man muss beim Training den Punkt erkennen, an dem das Pferd muskulär ermüdet ist und für den Moment aufhören. Die allermeisten Pferde machen danach nämlich durchaus noch weiter mit, aber in sehr verschleißenden Abläufen.  Ganz wichtig, das gilt auch, sogar besonders,  für gemütliche Ausritte im Schritt! Hierbei sind viele Reiter sich am allerwenigsten der Ermüdung der Rumpftragemuskulatur bewusst, sowie der schädlichen Wirkung der Vorderlastigkeit. Man kann aber lernen zu fühlen, ob die Impulse der Vorderbeine noch senkrecht nach oben gehen oder ob sie wie Räder unter dem Pferd "wegrollen".

Wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist, gelten selbstverständlich zunächst mal alle Maßnahmen, die auch für die Vorbeugung gelten. Das allein reicht aber oft  nicht, um Pferde aus einer schädlichen, schmerzbedingten Bewegungsgewohnheit herauszuholen, geschweige denn entzündliche Prozesse zu stoppen. 

Ergänzend zu den in der Tiermedizin üblichen medikamentösen Verfahren, der Schmerz- und Entzündungshemmung  und des Knochenaufbaus, kann man  naturheilkundlich mit Kräutern, Huf-Angussverbänden mit Retterspitz oder Arnika, Blutegeln oder Akupunktur arbeiten. Angesichts der oben beschriebenen Pathogenese muss man knorpelschützende Ergänzungsfuttermittel oder -Injektionen, doch als sinnvoller erachten als das oft gebrauchte knochenaufbauende Osphos oder Tildren.

Am entscheidensten ist aber die aktive Rehabilitation des Hufes und des Bewegungsablaufs.

Das Pferd ist trageerschöpft, vorderlastig, tritt kurz oder flach, landet zu früh und gleich mit dem vollen Körpergewicht.  In Wendungen bekommt es Schräglage. Die Bewegungen wirken nicht mehr ausdrucksvoll und stolz, sondern schleppend, flach, kurz, staksig, schwunglos.

Somit ist es eigentlich gar nicht so schwer, ein Gespür dafür zu entwickeln (oder wiederzuentdecken), welche Bewegungen dem Pferd gut tun und welche nicht. Dafür hilft es, sich Pferde auf der Weide anzusehen, die sich aus eigenem Antrieb bewegen, weil sie spielen, Rangordnungsfragen klären oder übermütig sind. Hier sieht man die entscheidenden Dinge:  Schwung, Kadenz, Impulsion, Rückentätigkeit, eine zwanglos gewölbte Halswirbelsäule.

Lahmt das Pferd bereits, sind große Bewegungen nicht mehr schmerzfrei möglich.  Dann muss man die Comfortzone des Pferdes finden, die vielleicht in sehr langsamen Tempo, vielleicht nur im Schritt und verkürzten Schritten oder Tritten, oder nur geradeaus oder bestimmten Bodenverhältnissen, oder dem Tragen von gepolsterten Hufschuhen besteht.  Innerhalb dieser Comfortzone entwickelt man nun die oben genanten Kriterien gesunder, freiwilliger Vorwärtsbewegung und erweitert sie Schritt für Schritt.  Eine Rehabilitation des Hufrollensyndroms mit Hufbeschlag ist meiner Erfahrung nach nicht möglich. Wenn überhaupt führt eine Änderung mit Eisen- oder Kunststoffbeschlag zu einer scheinbaren kurzfristigen Verbesserung durch Schmerzausschaltung im betroffenen Gebiet. Diese geht aber zu Lasten anderer Körperteile und ein Beheben der Ursache, der Dysfunktionalität des Strahlkissens ist nicht möglich.

Bringt man das Strahlkissen nach langer Zeit wieder in Funktion ist verständlicherweise anfänglich mit einer erhöhten Empfindlichkeit zu rechnen. Diese tritt aber nicht immer ein und wenn, kann man dem Pferd mit Hufschuhen mit Einlagen oder weichem Boden über diese vorübergehende Phase hinweghelfen. Ein Wiederaufbau des degenerierten Bindegewebes ist grundsätzlich in jedem Alter noch möglich. Eine ausgewogene Nährstoffzusammensetzung des Futters ist dabei hilfreich. Eine katabole (abbauende) Stoffwechsellage, wie beim Equinen Cushing Syndrom ist ungünstig. 

Eine nach diesen Gesichtspunkten ausgeführte Rehabilitation geht nicht schnell, je nach Schwere des Falls kann man zwischen drei Monaten und zwei Jahren einplanen, ehe das Pferd wieder reitbar ist.  Dafür ist sie nachhaltig. 

 

Zur Anatomie der Hufrolle und zu Krankheitsentstehung und -verlauf gibt es reichlich Fachliteratur, auch mit anschaulicher Bebilderung. Eine ausführliche und gut verständliche Beschreibung findet man z.B. unter http://www.hufrollensyndrom.de/html/die__hufrolle_.html

 

Hier gibt es anschauliches Bildmaterial zu den seitlichen Belastungen, die die Hufrolle strapazieren

http://www.hufrollensyndrom.de/html/die_grunde.html