Wieviel Belastung braucht ein Pferd?

girl riding horse near ramps during sunset
Photo by Carlos Fernando Bendfeldt on Unsplash

 

Um gesund zu bleiben? - Gar keine. Behaupte ich. Und schon rufen in mir die Stimmen: „Moment, jedes Lebewesen braucht doch Trainingsreize, um fit und gesund zu sein!“ Auch da stimme ich zu.

 

Das Problem ist, dass im Allgemeinen „Training“ und „Belastung“ als Synonyme verwendet werden. Was sie nicht sind.

Training bedeutet die Einwirkung eines Reizes (Stimulus) auf einen Organismus, der ihn zwingt etwas auszuhalten, für das er eigentlich nicht konzipiert ist. Auf den er aber selbständig mit der Aktivierung von Mechanismen reagieren kann (und das auch tut), die ihn für derartige Einwirkungen zukünftig wappnen, ihn also in gewisser Hinsicht stärker machen. Dies ist ein Alleinstellungsmerkmal von Lebewesen. Kein lebloser Gegenstand hat diese Fähigkeit.

 

Belastet werden kann jedoch alles. Und es bedeutet immer eine mehr oder weniger große Beeinträchtigung. Auch bei einer Brücke, die viel befahren wird, leidet mit der Zeit das Material und muss gewartet werden. Wird mein Konto belastet, ist danach weniger Geld darauf als vorher. Es kostet mich zusätzliche Energie und auch Arbeitszeit, es wieder aufzufüllen.

 

Wenn es so einfach wäre, dass die Regeneration immer nur von Energie, Baustoffen und Zeit abhinge, müsste man ein Pferd nach der Belastung nur mit ausreichend Nährstoffen versorgen und ihm Ruhe gönnen. Doch man muss das ganze differenzierter sehen.

Denn nicht alle Strukturen des Körpers haben die selbe Regenerationszeit nach einer ungewöhnlichen Belastung. Sie kann von Sekundenbruchteilen (der Herzmuskel hat z.B. während des gesamten Lebens nie länger als eine Sekunde Zeit, sich von einer Kontraktion zu erholen), über Minuten (Lichtrezeptoren der Netzhaut), Stunden (Schleimhautzellen), Tagen (Skelettmuskulatur), Wochen (Knochen), Monate (Sehnen) oder Jahre dauern und tragischerweise kann eine Beeinträchtigung auch endgültig sein.

 

Während meiner Ausbildung zur Tierheilpraktikerin bin ich mal mit einem erfahrenen Pferdetierarzt mitgefahren. Als wir wieder mal bei einem vier- oder fünfjährigen, im Training stehenden Pferd mit einer akuten Lahmheit ankamen, sagte er: „ Die jungen Pferde holen sich die Pause, die sie brauchen.“

So sieht es aus. Doch jeder der schonmal ein verletztes Pferd, z.B. mit einem Sehnenschaden, wochenlang hat stehen lassen müssen, weiß, wie nachteilig sich das auf den Rest des Körpers, der ja nun auch nicht mehr adäquat stimuliert wird, auswirkt. Da passen einfach die Regenerationszeiten äußerst schlecht zusammen.

Training und Belastung synonym zu verwenden, haut bei gesunden Pferden und üblicher Art von Belastung in den allermeisten Fällen so hin. Problematisch wird es, wenn die Belastung einzelne Strukturen übermäßig beansprucht oder aber die Regeneration bestimmer Strukturen beeinträchtigt ist. Deshalb ist es unbedingt notwendig, „Belastung“ sehr differenziert zu betrachten. Bei einem gehandicapten, z.B einem alten Pferd, oder einem mit suboptimalem Körperbau, muss das Training viel zielgerichteter und wohldosierter geschehen. Es erfordert viel mehr Fachwissen und Einfühlungsvermögen, als bei einem fitten Pferd, das vieles wegsteckt. Ein gesundes Pferd, dem man Bewegungsfreiheit gewährt, holt sich die Anreize die es braucht. Es bewegt sich spielerisch in alle Richtungen, die es kann, und vermeidet einseitige, monotone Bewegungmuster. Ein gehandicaptes Pferd sich selbst zu überlassen kann ihm genauso schaden, wie es zu überfordern. Denn es wird sich gewohnheitsmäßig immer auf die gleiche Art bewegen und immer die selben Strukturen belasten. Dass sich diese nicht vollständig regenerieren, merkt man gegebenenfalls erst nach Jahren, wenn zB sehnige Strukturen wie die Fesselträger, als Durchtrittigkeit sichtbar, ausgeleiert sind. Oder dass Reize fehlen, z.B. wenn ein Muskel so stark atrophiert ist, dass ein Gelenk den Kippunkt überschreitet, an dem es sich aus der Neutralstellung nur noch in eine Richtung bewegen kann. Nicht immer geht dieser Prozess mit einem Schmerz einher, der so deutlich ist, dass das Pferd lahmt.

 

Wir Menschen besitzen Spiegelneurone. Wir können uns in andere Lebewesen empathisch einfühlen. Deshalb wohnt uns die Fähigkeit inne, zu spüren, wann eine Belastung unserem Pferd „weh tut“, lange bevor es zu Schmerzäußerungen kommt, dass heißt, dass sie eine übermäßig lange oder sogar unrealisierbare Regenerationszeit nach sich ziehen wird. Im Gegensatz dazu können wir Bewegungen erkennen (und uns darüber freuen), die unser Pferd stärker machen werden, auch wenn es uns im Moment vielleicht leid tut, es dieser Anstrengung auszusetzen. Dies kann eine sehr schmale Gratwanderung sein, die viele Menschen verlernt haben. Und ich kann verstehen, wenn man sich lieber auf der scheinbar sicheren Seite bewegen möchte, im Sinne von :“Wer nichts macht, macht nichts falsch.“ Damit kann auch ein Einsperren des Pferdes gemeint sein, um es vor Verletzungen zu schützen. Andererseits, ein unfittes Pferd zu reiten, seine Beeinträchtigungen zu ignorieren, macht uns genauso schuldig. Wir kommen um die Verantwortung nicht herum, dem Pferd, das richtige Maß an Versorgung, Sicherheit aber auch adäquaten Reizen zu bieten, um ihm durch das Leben in Gefangenschaft möglichst wenig Leid zuzufügen. Jeder, der sich ein Pferd anschafft, sollte sich dieser Anforderung bewusst sein.  

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